Internetlexikon: www.talmud-thora.de

Auf unserer Internetseite www.talmud-thora.de werden in lexikalischer Form die religiösen Einrichtungen sowohl nach Art als auch nach Ort verzeichnet.

„Der Kampf um die Seelen“
Die Aktivitäten der jüdischen Orthodoxie in den DP-Camps am Beispiel der Vaad Hatzala

Mitglieder der Jeschiwa „Beth Meir“ in Bamberg (Repro: nurinst-archiv)
Mitglieder der Jeschiwa „Beth Meir“ in Bamberg (Repro: nurinst-archiv)

Obwohl in nahezu allen Displaced Persons (DP)-Lagern die orthodoxen Juden eine Minderheit bildeten, entwickelte sich schnell ein ausgeprägtes religiöses Leben innerhalb der jüdischen Nachkriegsgesellschaft. Großen Anteil daran hatte der Vaad Hatzala (dt.: Rettungskomitee), eine Vereinigung von amerikanischen und kanadischen Rabbinern. Ursprüngliches Ziel dieser 1939 gegründeten Organisation war es, Rabbiner und Jeschiwa-Schüler bei der Flucht vor den Nazis zu unterstützen. Während des Zweiten Weltkrieges gelang es der Vaad Hatzala über 625 polnische Rabbiner und Religionsstudenten aus Litauen sowie einige Tausend nichtreligiöse Juden vor dem sicheren Tod zu retten.

Nach dem Krieg unterstützte der Vaad Hatzala die orthodoxen Juden bei ihrem Versuch, ein Leben getreu den Vorschriften der Thora zu etablieren. Nachdem die US-Regierung das „Rettungskomitee“ als offizielle Hilfsorganisation anerkannt hatte, wurden in vielen DP-Camps Jeschiwot, Ritualbäder, koschere Küchen, Religionsschulen und weitere soziale Institutionen geschaffen. Ende 1947 unterhielt der Vaad Hatzala im besetzten Deutschland 14 Religionshochschulen, an denen über 1.500 Studenten Talmud und Thora lernten. Zu einem wichtigen Ort, an dem die religiöse Erneuerung stattfand, gehörte das jüdische DP-Lager Windsheim mit der bedeutenden Lubawitscher Religionshochschule „Jeschiwa Merkas Thora“. Außerdem gründeten sich eine zweite Jeschiwa, ein religiöses Kinderheim, eine Talmud-Thora‐Schule und es wurde eine öffentliche Koschere Küche eingerichtet.

Dazu verteilte die orthodoxe Vereinigung rituelle Gegenstände wie Gebetsmäntel und -riemen, Thorarollen, Gebetbücher und begann mit dem Aufbau von religiösen Kinder- und Jugendheimen. Damit wollte der für Deutschland verantwortliche Rabbiner Nathan Baruch den übermächtigen säkular-zionistischen Bewegungen Paroli bieten und zweifelnden Kindern und Jugendlichen, die versucht waren, alle religiösen Traditionen und die Existenz Gottes in Frage zu stellen, wieder für das traditionelle Judentum zurückgewinnen.

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Lunch mit Rabbiner Nathan Baruch und dem US-Advisor on Jewish Affairs Louis E. Levinthal in der Koscheren Küche der Vaad Hatzala in Frankfurt (Repro: nurinst-archiv)

Wenngleich in manchen Lagern und Gemeinden eine öffentliche Wiederbelebung der religiösen jüdischen Tradition nicht zu übersehen war, gab es trotz „viel formaler Zurschaustellung von Brauch und Symbolen nur wenig von echter Frömmigkeit zu sehen“, wie Koppel S. Pinson, ein leitender Mitarbeiter der jüdisch-amerikanischen Hilfsorganisation AJDC, in einem zeitgenössischen Report berichtete. „In keinem jüdischen Lager ist es beispielsweise möglich, das richtige Gefühl einer traditionellen Schabbatfeier zu erleben, wie es in den Städtchen Galiziens, Polens und Litauens am letzten Tag der Woche üblich war.“

Dennoch war die Leistung der Vaad Hatzala, im Hinblick auf die Erneuerung und Stärkung des jüdischen Glaubens unter den DPs,außerordentlich und überdies wichtig beim Aufbau eines neuen und freien Gemeinwesens, wie ein Brief des Direktors der US-Militärregierung für Bayern an Rabbiner Nathan Baruch belegt: „Mit Ihren Anstrengungen hinsichtlich der Stärkung der Religion und spirituellen Kraft stützen Sie die Demokratie.“

Erste Forschungsergebnisse – mit regionalem Schwerpunkt Bayerisch-Schwaben – über die nahezu unbekannten Aktivitäten der Vaad Hatzala sind im Buch

140 Seiten , 18 Bilder S/W 10-2011 ISBN 978-3-86764-341-2 UVK Verlagsgesellschaft mbH
140 Seiten , 18 Bilder S/W
10-2011
ISBN 978-3-86764-341-2
UVK Verlagsgesellschaft mbH

Peter Fassl, Markwart Herzog, Jim G. Tobias (Hg.)

Nach der Shoa
Jüdische Displaced Persons in Bayerisch-Schwaben 1945-1951

im Kapitel Leben nach Gottes Geboten (S. 63-76) veröffentlicht.

 

 

Mitglieder der Windsheimer Jeschiwa vor ihrer Abreise in die USA (Repro: nurinst-archiv)

Die vom Vaad Hatzala unterstützte Windsheimer „Jeschiwa Merkas Thora“ reiste im März 1948 über Frankfurt und Lyon in die USA aus. Die Aktivitäten der jüdischen Orthodoxie in Windsheim oder in der Bischofsstadt Bamberg und anderen fränkischen Orten ist bislang im öffentlichen Gedächtnis nicht verankert. Da auch dieses Kapitel zur fränkischen Heimatgeschichte zählt, haben wir diese spannende Geschichte dokumentiert.

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BaruchLevinthalDas Projekt wurde im Rahmen der Förderung der jüdischen Geschichte und Kultur unterstützt vom Bezirk Mittelfranken.