Die Emigration jüdischer
Displaced Persons nach
Australien 1946–51
Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus hatten sich für einige Jahre nahezu 200.000 Überlebende der Shoa in Deutschland aufgehalten, die in zahlreichen sogenannten Displaced Persons (DP) Camps auf ihre Ausreise nach Palästina/Israel oder in andere Emigrationsländer in Übersee warteten. Bis zum Ende des Jahres 1948 immigrierten über hunderttausend Juden in den neugegründeten Staat Israel – trotz des dort tobenden Krieges. Gleich nachdem David Ben Gurion die Unabhängigkeit verkündet hatte, musste sich die junge Nation nämlich den Angriffen der Armeen Ägyptens, Jordaniens, Syriens, des Libanons und des Iraks erwehren.
Obwohl anfänglich fast alle Überlebenden des Holocaust von einem Leben im eigenen Staat träumten, änderte sich die Einstellung mit der zunehmenden Aufenthaltsdauer in den Camps und der unsicheren Situation im Krisengebiet Nahost – die Menschen sehnten sich nach einem normalen und friedlichen Leben ohne Krieg und Verfolgung, wie sie es sich beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika vorstellten. Zunächst ließen die USA nur wenige jüdische DPs einreisen: Es dauerte bis zum Anfang der 1950er Jahre bis 80.000 jüdische Displaced Persons im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ eine neue Heimat fanden. Weitere Holocaust-Überlebende erhielten Aufnahme in verschiedenen europäischen Ländern, in Südamerika, Kanada oder in Australien.
Einer von Ihnen war Alex; er erblickte 1918 im polnischen Bendzin das Licht der Welt. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen wurde der Jugendliche in ein Konzentrationslager verschleppt. Im Frühjahr 1945 konnte ihn die US-Armee aus Buchenwald befreien und in ein DP-Camp überstellen. Vom DP-Lager Feldafing verließ er, nach einer Zwischenstation in Frankreich, Europa in Richtung Australien: Am 15. September 1948 ging er in Marseille an Bord der SS Napoli.
Die 1919 geborene Lena Goldstein hatte das Warschauer Ghetto überlebt. Aufgrund pogromartiger Ausschreitungen in Polen flüchtete sie 1946 nach Deutschland in die Sicherheit der US-Besatzungszone. Nach einer jahrelangen Odyssee durch verschiedene DP-Lager bestieg sie im Januar 1949 in Genua die SS Continental; im März erreichte sie endlich den Hafen von Sydney.
Dasia war sieben Jahre alt, als der Krieg zu Ende war. Ihre Eltern waren von den Nazis ermordet worden, eine Kusine ihres Vaters nahm sich des kleinen Mädchens an. Die Jahre 1946 bis 1951 verbrachte die Waise mit ihren Zieheltern in der jüdischen DP-Gemeinde Stuttgart, wo sie auch die hebräische Camp-Schule besuchte. Seit 1951 lebt die in Galizien Geborene in Australien.
Ihre Freundin Yola hatte nach der Liquidierung des Warschauer Ghettos mit falschen Papieren überlebt. Als Polen befreit worden war, schloss sie sich einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen an und machte sich auf den Weg nach Westen. Nachdem sie einige Zeit im DP-Children Center Aschau verbracht hatte, fand sie ihre Mutter wieder. Ende 1949 emigrierte die damals 17-Jährige nach down under.
Im August 1945 hatte Australiens erster Einwanderungsminister, Arthur Calwell, bekannt gegeben, dass sein Land innerhalb der nächsten zwei Jahre 2.000 jüdische Überlebende aus „humanitären“ Gründen aufnehmen würde. Aufgrund der begrenzten Transportkapazitäten – viele Schiffe wurden noch von den Militärs benötigt, um Truppen vom europäischen Kriegsschauplatz zurück in ihre überseeischen Heimatländer zu bringen – sowie einer Vielzahl von nichtjüdischen Zuwanderern, die gleichfalls auf ihre Überfahrt nach Australien warteten, verfügte der Minister eine Quote von maximal 25 Prozent jüdischer Passagiere pro Schiff. Diese Haltung war Ausdruck eines nicht übersehbaren Antisemitismus in der australischen Gesellschaft, dem Calwell sich auch deswegen beugte, weil Parlamentswahlen anstanden. Demzufolge wurden die ersten beiden geplanten Passagen von DPs aus Europa nach Australien gestoppt: An Bord der Schiffe befanden sich nämlich weit mehr als die erlaubten 25 Prozent jüdischer Auswanderer. Rund 600 Juden mussten daher in Frankreich auf eine neue Überfahrtgelegenheit warten. Aber auch nach dem Urnengang zeigte der Minister sich unnachgiebig und beharrte auf seiner Quote. Damit entsprach Calwell der politischen Mehrheitsmeinung, vorrangig christlichen Angehörigen des britischen Commonwealth die Zuwanderung nach Australien zu gestatten.
Die ersten Shoa-Überlebenden aus Europa erreichten im November 1946 australischen Boden. Nach heftigen Protesten jüdischer Verbände gegen die diskriminierenden Einwanderungsvorschriften erlaubte Arthur Calwell im März 1947 dem Schiff Johan de Witt, das etwa 700 Emigranten aus Europa an Bord hatte – davon rund 600 jüdische Passagiere – die Anlandung im Hafen von Sydney. Es blieb jedoch bei dieser einmaligen Ausnahme, sodass es bis Ende 1948 nur 5.700 europäischen Juden gelang, in Australien Fuß zu fassen. Erst Anfang 1949 wurde die Quote der von jüdischen Passagieren zu beanspruchenden Schiffsplätze auf 50 Prozent erhöht. Demzufolge konnten zwischen 1949–1950 nochmals rund 6.300 Überlebende des Holocaust ihre Zukunft auf dem fünften Kontinent planen. Da die Einwanderungsbehörden bis Mitte der 1950er Jahre weiteren jüdischen Flüchtlingen aus Europa oder Schanghai – hierhin hatten sich tausende von deutschen und österreichischen Juden vor den Nazis gerettet – die Ansiedlung in Australien gestattet hatten, nahm das Land insgesamt über 17.000 entwurzelte jüdische Menschen auf.
Die Geschichte derer, die sich aus den im besetzten Deutschland befindlichen jüdischen DP-Camps auf die lange Reise ans andere Ende der Welt machten, ist hierzulande nahezu unbekannt. Mittels Zeitzeugeninterviews, Recherchen in den Archiven jüdischer Hilfsorganisationen, Auswertungen von Unterlagen der Displaced Persons Camps-Verwaltung sowie der australischen Presse wird das Kapitel der jüdischen Einwanderung nach Australien zwischen 1945 und 1951 nachgezeichnet. Einen ersten Einblick in diese spannende Zeit der jüdischen Nachkriegsgeschichte gab die TV-Reportage Destination: Sydney. Diese 15-minütige Reportage wurde bereits 2009 im nordbayerischen Franken TV ausgestrahlt und kann in unserer Mediathek angesehen werden. Lena Goldstein und Yola Schneider berichten in dieser Sendung über ihre Zeit im DP-Camp Ansbach und ihre Reise nach Sydney.
Im Februar 2011 wurde die halbstündige TV-Dokumentation
Destination: Down Under – Jüdische Immigration nach Australien 1946-51
auf Franken Fernsehen ausgestrahlt.
Das Buch von Jim G. Tobias Neue Heimat Down Under. Die Migration jüdischer Displaced Persons nach Australien incl. 1 DVD mit der TV-Dokumentation Destination: Down Under ist 2014 erschienen.
Ein Teil des Projektes wurde u. a. durch die Kulturstiftung des Bezirks Mittelfranken gefördert.