Hanni Lux (geb. Deutsch)

Hanni Lux
Hanni Lux 2007 in Telmond/Israel (Foto: Peter Roggenthin)

lebt in dem noblen Seniorenheim Protea Village etwas westlich von Netanja, genau dort, wo die Wespentaille des israelischen Kernlandes am engsten ist. Gerade fünf Kilometer sind es bis zum Zaun und dem militärischen Sperrgebiet, das Israel vom Westjordanland abtrennt.

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Hanni Deutsch (links) mit einer Freundin am Strand von Tel Aviv, 1939 (Foto/Repro: Lux/nurinst-archiv)

Hanni Lux wurde am 12. April 1921 als Johanna Deutsch in Wien geboren. Der örtliche Dialekt machte daraus „Hannerl“, einen Namen, den sie immer hasste. Da ihr Vater ein begeisterter Sportler war, nahm er sie und ihre Schwester Judith frühzeitig zur Hakoah mit. Die Schwester war eine der herausragenden Schwimmerinnen Österreichs und blieb ab 1934 bei vielen nationalen und internationalen Kraulstrecken ungeschlagen. 1935 wurde Judith zur österreichischen Sportlerin des Jahres gewählt. Hanni konzentrierte sich ganz auf ihre Spezialdisziplin Rückenschwimmen. Zwar war sie in den Einzelwettbewerben die „ewige Zweite“, doch mit der Staffel gewann sie etliche Jugendmeisterschaften. Das Training war allerdings hart: Im Sommer fuhr der Kader immer einen Monat nach Pörtschach an den Wörthersee. Dort wurde fünf bis sechs Stunden täglich trainiert. Daneben hatten die Schwimmer aber auch viele schöne Naturerlebnisse. Doch nachts wurde immer streng kontrolliert, ob alle im Bett lagen und nicht irgendwo feierten. 1938 schaffte Hanni Lux dann doch noch eine Einzel-Landesmeisterschaft: Sie wurde palästinensische Meisterin im Rückenschwimmen – allerdings war sie in dieser Disziplin auch die einzige Teilnehmerin.

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Pörtschach am Wörthersee (Kärnten): Hakoah-Trainer Zsigo Wertheimer und seine Weltklasseschwimmerinnen: Ruth Langer, Hedy Bienenfeld, Judith Deutsch und ihre Schwester Hanni, v.l.n.R. (Foto/Repro: Lux/nurinst-archiv)

„1936 wurde meine Schwester Judith Deutsch als damals wohl beste Schwimmerin Österreichs für die Olympischen Spiele nominiert. Sie fragte unseren Vater: ‚Papa, soll ich dort hingehen?‘ Mein Vater wollte ihr die Entscheidung nicht abnehmen. Er sagte deshalb nichts, denn er wusste, dass eine Absage für sie sehr schlimm gewesen wäre, da sie sehr viel in ihre sportliche Leistung investiert hatte. Er meinte also, dies müsse sie selbst entscheiden. Daraufhin hat sie sich schweren Herzens zu dem Boykott durchgerungen. Als zuvor die olympische Fackel mit großer Euphorie durch Wien getragen worden war und sich sämtliche Sportvereine an diesem Zug beteiligt hatten, riefen die Leute bei den nichtjüdischen Vereinen ‚Heil Hitler‘, obwohl dieser Kampfruf zu dem Zeitpunkt in Österreich noch verboten war. Dann kamen wir von Hakoah vorbei, und eine Totenstille machte sich breit. Wir hatten schreckliche Angst, angegriffen zu werden. Hinterher im Vereinsheim waren wir heilfroh, unversehrt davongekommen zu sein. An diesen Vorfall denke ich heute noch oft zurück.“

Hannis Eltern waren nicht religiös – sie feierten nur das Pessach-Fest immer bei einem Onkel. In der zweiten Klasse Volksschule riefen ihr die Klassenkameraden zu: „Jud, Jud, spuck in den Hut.“ Daraufhin rannte sie heim und fragte ihre Eltern: „Bin ich Jüdin?“ Als sie bejahten, schloss sie sich ein und heulte. Sie fragte sich in Wien häufig, etwa in der Straßenbahn, ob man an ihrem Äußeren erkennen könne, dass sie Jüdin ist. In Palästina legte sich das natürlich. Heute ist Hanni Lux der Überzeugung, dass Antisemitismus nicht ihr Problem, sondern das der Antisemiten ist. Ihr Vater kaufte in Wien nie ein Haus. Er pflegte zu sagen: „Dies ist nicht meine Heimat“ Er war schon als Student Zionist. Ihre Mutter aber hatte einen Doktortitel in Deutsch, Französisch und Kunstgeschichte. Sie war somit der deutschen und europäischen Kultur enger verbunden.

„1938 entschied ich mich, gegen Hitler zu kämpfen und emigrierte nach Palästina, um der Royal Air Force als Luftwaffenhelferin beizutreten. Ich half beim Reparieren kaputter Maschinen. Wir waren 50 Frauen unter 2.000 Männern. Die starrten uns natürlich an, als wären wir Kreaturen von einem anderen Stern. Dort traf ich auch meinen späteren ersten Mann, Jimmy, er war 21 Jahre und damit drei Jahre jünger als ich. Jimmy wollte gleich heiraten und deshalb bestellte ich in Israel das Aufgebot und Judith backte einen Apfelstrudel. Doch der einzige, der nicht zur Trauung kam, war mein Jimmy. Nun frohlockten einige junge Männer: ‚Super, nun heiratet die Hanni doch nicht.‘ Aber es stellte sich schnell heraus, dass Jimmy in eine Ausgangssperre geraten war und keine Möglichkeit gehabt hatte, uns zu verständigen. Die Trauung wurde nachgeholt und Judith musste noch mal einen Apfelstrudel backen. Jimmy war Anglikaner und ein großer Spaßvogel. Er wollte weg von den englischen Kolonialisten aus Palästina, ist dann aber später wieder brav ins Land eingewandert. Seine Mutter war froh, dass ich Jüdin und keine römische Katholikin war.“

Gleich nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 emigrierte auch Hannis Familie nach Palästina. Doch wie fast alle verloren auch sie jemanden aus ihrer Familie, einen Onkel. Die ersten Jahre in Palästina waren sehr schwer, denn Deutsch war verpönt und Hanni sprach nur etwas Schulenglisch. 1945 wurden Hanni Lux und ihr Mann aus der Royal Air Force entlassen und emigrierten nach London, wo sie Volksschulpädagogik und Jimmy Mathematik und Physik studieren konnten. Wegen der Sexualtheorien Sigmund Freuds herrschte damals noch helle Aufregung, denn Sex war weitgehend tabu. Dennoch volontierte Hanni ab 1945 in einem Haus für gerettete jüdische Kinder, das von Freuds Tochter Anna in London geführt wurde. Fast alle Kinder waren traumatisiert und litten unter Schlaflosigkeit – Anna Freud beriet sie zweimal die Woche. Der Anwalt Dr. Valentin Rosenfeld, der vor dem Krieg Präsident der Schwimmabteilung von Hakoah Wien war und etwa 200 Hakoahnern die Flucht nach England ermöglicht hatte, unterstützte sie nach Kräften. Als jüdischer Verteidiger auch von Kommunisten war er in Wien doppelt unbeliebt. Er war 1938 Hals über Kopf nach England geflohen; die Nazis konnten deshalb nur noch seinen Hund erschlagen.

„1950 sind wir dann wieder zurück in das frisch gegründete Israel, wo Vater uns ein Haus in Tivon kaufte und Jimmy am Technion, der 1924 gegründeten Technischen Universität Israels, in Haifa arbeitete. Ich gab Privatstunden in Englisch. Als ich das zweite Mal in den Nahen Osten auswanderte, wollte ich die Erinnerungen an Hakoah verdrängen; ich nehme deshalb bis heute nicht an deren Treffen teil. Nie wäre ich wieder nach Wien gefahren, wenn dort nicht meine reizenden Enkel wohnen würden. Mit ihnen einige Tage zu verbringen, ist wunderschön. Nur deshalb ließ ich mich auch dort für den Dokumentarfilm ‚Watermarks – Hakoah Lischot‘ (dt. Titel: Club der Sirenen) über die Schwimmerinnen der Hakoah interviewen. Aber abgesehen davon fühle ich mich in Wien unwohl. Auch heute noch treibe ich übrigens täglich Sport, entweder Gymnastik oder Schwimmen.“

Interview und Text: Peter Zinke